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Programm

Tagungsbericht

Tagung, 22. Mai 2024, TUtheSky

Am 22. Mai 2024 fand die Tagung „Transformationsrecht“ im TUtheSky der TU Wien statt. Die Veranstaltung brachte etwa 120 Interessierte und Expert:innen aus Wissenschaft, Praxis, Zivilgesellschaft und Interessensvertretung zusammen, um die Rolle des Rechts in der sozialen und ökologischen Transformation zu diskutieren.

Im Jahr 2023 wurde mit einer globalen Durchschnittstemperatur von ca. 1,48° C über dem vorindustriellen Zeitalter die 1,5° C Grenze des Pariser Übereinkommens beinahe erreicht. Gleichzeitig belegen Daten, dass die vermögendsten 10 % der Weltbevölkerung für ungefähr 50 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Diese extrem ungleiche Verteilung findet sich nicht nur auf einem globalen Level, auch in Europa verantworten die obersten 10 % immerhin fast sechsmal so viele Treibhausgasemissionen wie die unteren 50 %. Eine ökologische Transformation muss daher auch eine soziale sein. Diese Umstände werfen die Frage auf, welche Rolle dem Recht in der Transformation zukommt: Einerseits kann Recht durch strengere und ganz konkrete Umwelt- und Klimaschutznormen zur Transformation beitragen, wie etwa durch Normen zur Verringerung des Individualverkehrs oder zur Wiederherstellung von Ökosystemen. Ein weitergehendes Verständnis von Transformationsrecht wiederum stellt manche heute etablierten Rechtsprinzipien an sich in Frage und fordert deren Reflexion und potenzielle Veränderung ein. Außerdem kann auch an eine emanzipatorische Nutzung des geltenden Rechts etwa durch Klimaklagen gedacht werden, um zu einem neuen Rechtsrahmen zu gelangen, welcher der notwendigen Transformation gerecht wird.

Organisiert wurde die Tagung Transformationsrecht vom Forschungsbereich Rechtswissenschaften des Instituts für Raumplanung an der TU Wien, der Arbeiterkammer Wien, dem Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien, der Zeitschrift juridikum, dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sowie von ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung.

Vorträge

Den Auftakt der Veranstaltung bildete die Keynote von Professor Poul Fritz Kjaer (Copenhagen Business School) mit dem Titel „Transformative Law as a Law of Sustainability“. Danach folgten Kommentare von Stephanie Nitsch (Universität Wien) und Daniel Ennöckl (Universität für Bodenkultur Wien) zur Rolle des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts in der Transformation.

Poul Fritz Kjaer skizzierte die Umrisse des Transformationsrechts als mögliches neues Grundverständnis des Rechts und seiner Aufgaben. Zunächst zeichnete der Vortragende die Geschichte des europäischen Rechtsverständnisses seit dem 19. Jh. bis in die heutige Zeit nach. Das sich neu entwickelnde Transformationsrecht weiche von früheren Auffassungen des Rechts grundlegend ab; unter anderem in Bezug auf das, was Recht erreichen bzw. sichern soll – Nachhaltigkeit statt perfektem Wettbewerb oder vollständiger Inklusion – und in welchem Referenzrahmen es gesetzt wird – für die Welt als Ganzes statt dem Markt oder einzelne gesellschaftliche Systeme.

Stephanie Nitsch thematisierte im Anschluss an die generellen Ausführungen von Poul Fritz Kjaer die Lieferkettenverantwortung, sogenannte Green Claims und Klagen gegen Unternehmen. Sie erläuterte, wie sie deren Beitrag zu einer sozialen und ökologischen Transformation einschätzt.

Daniel Ennöckl verdeutlichte aus der Perspektive des öffentlichen Rechts, dass die Klimakrise nicht mit vergangenen Umweltproblemen zu vergleichen sei, da sie einen tiefgreifenden Strukturwandel aller Lebensbereiche erfordere. Dennoch könnten altbekannte Instrumente des Ordnungsrechts zur Regulierung eingesetzt werden. Diese bedürften allerdings entsprechender Akzeptanz in der Bevölkerung. Am Ende wurden die drei Vorträge gemeinsam diskutiert.

Workshops

Im zweiten Teil der Tagung wurden sechs Workshops zu den Themen Instrumente der Klimapolitik, Grundrechte und Partizipation, Arbeit und Just Transition, staatliche Planung, Mobilitätswende sowie Energiewende abgehalten.

Der von Patrick Abel und Elisabeth Freytag-Rigler geleitete Workshop 1 zu den Instrumenten der Klimapolitik zeichnete zunächst die Klimapolitik der EU der letzten Jahre nach. Weiters wurden verschiedene konkrete Instrumente vorgestellt und deren Bedeutung unterstrichen, da ohne sie ambitionierte Klimaschutzziele nicht zu erreichen seien. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der sozial-ökologischen Verträglichkeit von Maßnahmen. Auch die Notwendigkeit neuer demokratischer Prozesse wurde debattiert.

Der zweite Workshop zu Grundrechten und Partizipation begann mit einer kurzen Übersicht von Gregor Schamschula zur Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltverfahren und deren Entwicklung in den letzten Jahren. Dabei wurde auch die Schwierigkeit des Zugangs zum österreichischen Verfassungsgerichtshof erläutert. Daran anknüpfend beleuchtete Paul Hahnenkamp das Grundrecht auf Eigentum und die damit einhergehenden Schranken für Klimaschutzmaßnahmen sowie die diesbezügliche Rolle des Verfassungsgerichtshofs. Anschließend stellte Judith Fitz zwei Gerichtsentscheidungen zu Klimaklagen vor, in denen die jeweiligen Höchstgerichte die Notwendigkeit höherer Klimaschutzziele bzw effektiverer Maßnahmen auf Grundlage von Grundrechten anerkannt haben. In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, was mit Klimaklagen erreicht werden kann.

Nora Melzer und Martin Müller leiteten den dritten Workshop zum Thema Arbeit und Just Transition, der den inhaltlichen Schwerpunkt auf Mitbestimmungsmöglichkeiten im Betrieb legte. Nach einer kurzen Einführung in die historische Entwicklung des Betriebsrätegesetzes wurden die aktuellen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Belegschaft im Betrieb skizziert. Hierbei wurde schnell festgestellt, dass diese in Bezug auf Nachhaltigkeits- und Klimaaspekte derzeit unzureichend sind und für eine Transformation deutlich gestärkt werden müssten. Daran anknüpfend wurden Ideen für eine solche Stärkung diskutiert.

Ausgehend von der Annahme, dass eine verstärkte staatliche Planung essenziell für die erforderliche Transformation der Gesellschaft ist, wurden im Workshop 4 grundlegende Fragen des Planungsrechts erörtert. Dragana Damjanovic skizzierte die rezente Entwicklung: Zuletzt sei eine zunehmende Planungsfreudigkeit zu beobachten. Staatliche Planung werde nicht nur ermöglichend, sondern auch verpflichtend gestaltet, wobei diese Positivplanung ein wesentlicher Hebel für Transformation sei. Ulrich Flamm gab mit der Vorstellung des „Zielnetz 2040“, das die Langfriststrategie für die österreichische Eisenbahninfrastruktur darstellt, einen Einblick in die Praxis staatlicher Planung. Schließlich erläuterte Annemarie Hofer die Bedeutung von Datengrundlagen für behördliche Planungsentscheidungen.

Die Mobilitätswende war das Thema für Workshop 5. Dieser begann mit einem Vortrag von Konrad Lachmayer. Nach einer kurzen Einführung zur Notwendigkeit einer sozial gerechten Verteilung von Mobilität wurden verschiedene rechtliche Instrumente zur Regulierung von Mobilität vorgestellt. Die sich etwa aus Grundrechten ergebenden Grenzen für Verbote und Gebote waren dabei ebenso Thema wie die Herausforderungen und Chancen, die sich aus dem Mehrebenensystem in der Regulierung ergeben. Daran anknüpfend stellte Matthias Freund den Mobilitätsmasterplan 2030 des BMK sowie weitere Maßnahmen im Verkehrsbereich aus der jüngeren Vergangenheit vor. Auch in diesem Vortrag wurden die Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich insbesondere durch die aktuelle verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung ergeben. Gleichzeitig hielt Matthias Freund fest, dass für die Mobilitätswende mehr Kreativität in der Legistik benötigt werde. In der Diskussion wurden unter anderem durch den freien Markt künstlich erzeugte Bedürfnisse, wie jenes nach Billigstflügen oder SUVs, sowie der mangelnde Vollzug mancher Regelungen der StVO thematisiert. Die Problematik und Notwendigkeit einer demokratischen Beschränkung der persönlichen Freiheit für jene, die diese exzessiv für sich beanspruchen, war in der Diskussion ein weiterer Schwerpunkt.

Im sechsten, von Claudia Fuchs, Irene Kristler und Benedikt Ennser geleiteten Workshop wurde die Energiewende und deren Regulierung beleuchtet. Zu Beginn des Workshops wurden zunächst die drei Säulen der Energiewende – Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit, Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert – vorgestellt und die starke Prägung des Rechtsgebiets durch das Unionsrecht aufgezeigt. Claudia Fuchs führte aus, dass das rechtliche Regelwerk der Energiewende seit einigen Jahren stark von der Erkenntnis der Notwendigkeit schnellerer Genehmigungsverfahren geprägt sei. Auch Benedikt Ennser betonte die Bedeutung der Verfahrensbeschleunigung, aber auch der Aufwertung der Planungsinstrumente. Insgesamt wurde festgestellt, dass es im Energierecht an einigen Stellen weniger Regulierung bedürfte.

Abschluss

Den Abschluss des inhaltlichen Programms bildete schließlich eine Diskussion im sogenannten Fishbowl-Format zur Frage „Wie muss das Recht aussehen, damit unsere Gesellschaft die notwendige Transformation umsetzen kann?“. Dabei wurden zunächst die Ergebnisse der Workshops präsentiert, um daran anschließend grundsätzlichere Fragen zu beleuchten. So ging es etwa um das Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit. Es wurde diskutiert, ob und welche Rolle (Höchst)Gerichte bei der Transformation des Rechts einnehmen sollen; und inwiefern gerichtliche Entscheidungen die Entwicklung sowie Umsetzung konkreter Maßnahmen beeinflussen. Weiters wurde die Frage aufgeworfen, welches Verständnis von Effizienz die Bemühungen um eine nachhaltige sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft anleiten soll. In diesem Zusammenhang wurde auch unterstrichen, dass das Recht diese Aufgabe jedenfalls nicht im Alleingang auf sich nehmen könne. Es brauche interdisziplinäre Ansätze und eine engere Einbindung von Erkenntnissen aus den Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften in die Rechtswissenschaften. In einer weiteren Austauschrunde wurde auf die enge Verzahnung von Demokratie, Bildung und Kommunikation aufmerksam gemacht. Es sei wichtig, die kommunikativen Dimensionen und Methoden der Rechtswissenschaften zu reflektieren und sie vor dem Hintergrund des Prinzips demokratischer Partizipation kritisch zu hinterfragen.

Die Tagung endete mit einem gemütlichen Ausklang und einem Buffet der Gaumenfreundinnen.